Trinkst du Kaffee?
Ich liebe Kaffee – so sehr, dass ich die letzten vier Jahre morgens bis zu fünf Tassen schwarz auf leeren Magen getrunken habe. Meine Eltern sind ziemlich besorgt darüber, weil es anscheinend nicht das Gesündeste ist. Aber mein Magen ist robust, ich versuche mich zu mäßigen und trinke weiter.
Wie sieht dein Arbeitstag aus?
Jeden Morgen um sechs Uhr stehe ich auf. Vor allem weil die Proben im Theater immer von 10-14 und von 18-22 Uhr stattfinden, bleibt zwischendurch oder hinterher keine Zeit für eigene Sachen. Deswegen nehme ich mir morgens Zeit für mich. Nach dem Kaffee beginnen meine Morgen-Meditation und das Gebet. Und dann habe ich Zeit, die Dinge zu tun, die für mich Priorität haben, sei es Lesen, Probenvorbereitungen oder Komponieren. Es ist ein gutes Gefühl, wenn es dann zehn Uhr ist und du schon gut gearbeitet hast.
So ein Tag kann, wenn du eine Vorstellung dirigierst, auch bis 23 Uhr und länger dauern. Wie beendest du den Abend?
Meine Rituale, die ich vor und nach der Vorstellung vollziehe, helfen mir die Aufführung zu rahmen. Wenn wir nicht in der Gruppe noch ausgehen, gehe ich duschen, relaxe und lasse die Aufführung nachklingen. Nach einer Vorstellung kann ich nicht direkt Schlafen gehen, da kann es auch schon mal ein oder zwei Uhr werden. Und wenn ich am nächsten Morgen wieder um sechs Uhr aufstehe, habe ich zwar weniger geschlafen, bin aber dafür erfüllt vom Abend zuvor.
Wie bist du zur Musik gekommen?
Bei uns Zuhause lief immer viel Musik – griechische Musik vor allem. Meine Lieblingssängerin ist Maria Papageorgiou. Meine Mutter wollte Klavier spielen lernen und hatte sich ein Klavier gekauft. Nach kurzer Zeit gab sie auf und will es bis heute noch lernen. Ich habe mit drei Jahren auf den Tasten herum geklimpert und Interesse für diese Klänge gezeigt. Und so bekam dann eben der Kleine Unterricht. Ohne Druck bin ich ziemlich schnell weiter gekommen und dran geblieben. Mit 15 Jahren wusste ich, dass es für mich beruflich keine Alternative zur Musik gab.
Warum wolltest du Dirigent werden?
Vom einfachen Klavierstück bin ich zu den großen Klavierkonzerten gekommen und habe mir die klassische Musik immer mehr erschlossen. So kam ich zur Komposition, womit ich auch mein Studium begonnen habe. Damals habe ich noch professionell Kampfsport in der deutschen und der griechischen Kung Fu-Nationalmannschaft gemacht. Ich hatte immer schon einen starken Bezug zum Körper und zur Körpersprache. Dirigieren lag für mich insofern sehr nahe, weil es mir unheimlich faszinierend erschien, beim Musizieren das Physische mit dem Mentalen und dem Geistigen zu verbinden. Das ist als Dirigent bis heute mein Credo und ich versuche, dem mit jeder Produktion und jedem Konzert aufs Neue gerecht zu werden.
Erinnerst du dich an deinen ersten Auftritt als Dirigent - wie hat sich das angefühlt?
Oh ja, es war nicht gerade das angenehmste Gefühl. Das war bei der Aufnahmeprüfung in Stuttgart. Ich habe den DANSE INFERNALE von Igor Stravinsky dirigiert, was völlig irrsinnig ist für eine Bachelor-Aufnahmeprüfung. Ich war unheimlich aufgeregt. An der Überzeugung meiner Berufung hat das jedoch nichts geändert. Und bestanden hab ich die Prüfung auch!
Dirigierst du mit Taktstock?
Barockmusik habe ich schon immer vom Cembalo aus ohne Taktstock geleitet. Seit einigen Monaten versuche ich nun, alles ohne zu dirigieren. Jeder Dirigent muss spüren, was ihm liegt. Nur, weil man es im Studium mit lernt, heißt es nicht, dass es zu einem passt. Für mich ist der Taktstock einfach noch ein Gerät, das zwischen dem Orchester und mir steht. Weder Taktstock noch Frack sind ein Muss heutzutage! Mit den Händen kann ich den Klang einfach viel klarer und unmittelbarer formen; ich bin direkter dran.
Hast du vor der Vorstellung ein Ritual?
Viele Aufführungen nehmen erst nach einiger Zeit Fahrt auf, weil dann die Dirigenten erst warm sind. Ich will von Anfang an voll dabei sein und das ist körperlich und emotional sehr fordernd. Aber diese Hingabe macht für mich eben die Quintessenz des Musizierens aus. Man brennt in dem Moment und versucht sich auf dieser Frequenz mit Orchester, Sänger_innen und Publikum zu treffen. Ich kann es auch nicht abschalten, selbst wenn ich wünschte, ich könnte es. Die Voraussetzungen dafür versuche ich vor jeder Vorstellung zu schaffen, indem ich alle Gelenke lockere und mich warm mache bis ich ins Schwitzen komme. Spirituelle Praktiken gehören ebenfalls zur Vorbereitung.
Wie ist deine Zusammenarbeit mit Teodor Currentzis entstanden?
Ich habe ihn kennengelernt, da war er noch nicht so bekannt wie heute. Ich war eigentlich nur zu Besuch in Stuttgart und wollte an diesem Abend mal wieder ins Schauspiel gehen, aber es lief nichts, also bin ich ins Konzert. Seltsam, dachte ich, da dirigiert ein Grieche das Staatsorchester und ich kenne ihn gar nicht. Schließlich war dieses Konzert DIE musikalische Offenbarung für mich – ich war am Ende tränenüberströmt und habe am ganzen Körper geschwitzt. Nach diesem Konzert bin ich zu ihm gegangen und musste eigentlich nichts sagen, er hat alles gesehen. Ich habe ihm gedankt und erzählt, dass ich gerade in Manchester im Master Dirigieren studiere und unbedingt wissen muss, wie er das gemacht hat. Flapsig und nett und wie er ist, hat er gesagt „ja klar“. Ich sollte mich bei ihm melden über Facebook … bis heute warte ich auf die Antwort darauf. (lacht)
Wie ist er dennoch dein Lehrmeister geworden?
Das war ein langer Weg. Es war der vorletzte Tag meines Studiums in England und es hieß, morgen kann ich Teodor Currentzis in Athen treffen. Am selben Tag habe ich meinen Flug gebucht und bin nach meinem Abschlusskonzert am nächsten Morgen um sieben Uhr losgeflogen. Er konnte sich nicht mal mehr an mich erinnern, aber es war die erste Begegnung. So ging das eine Zeit lang und irgendwann fiel ich ihm auf, weil ich einfach immer wieder da war. Ich habe in Linz zu Ende studiert und damals alles stehen und liegen lassen, um zu sehen wie er arbeitet – Unterricht, Prüfungen, einfach alles. Da ist er gerade mit seinem Orchester nach Perm gezogen. Schließlich wurde ich offiziell eingeladen, ihm zu assistieren und Produktionen mit seinem Orchester und Chor zu leiten. Mittlerweile sind wir eng befreundet.
Hast du Lampenfieber?
Früher ja. Jetzt kann ich zwar aufgeregt sein und nehme die Spannung vor einer Vorstellung durchaus wahr, aber ich empfinde keinen negativen Stress. Es hat aufgehört in dem Moment, als ich für Teodor Currentzis einspringen durfte, mit dem SWR Orchester Baden-Baden und Freiburg im Mannheimer Rosengarten. Es war ein schweres Programm mit Beethovens 3. Leonoren Ouvertüre, der 15. Symphonie von Schostakowitsch und Patrizia Kopatchinskja war die Solistin für Alban Bergs Violinkonzert. Zudem war es das erste Mal, dass ich ein Orchester dieser Klasse dirigieren durfte. Teodor lag krank im Bett und ich bin kurz vor dem Konzert zu ihm. Wir haben uns eine viertel Stunde unterhalten und er hat mir einige unschätzbare Dinge mit auf den Weg gegeben, die ich bis heute in mir trage – es hat sich ein bisschen wie eine Einweihung angefühlt. Nach diesem Konzert hatte ich das Gefühl, dass mir nichts mehr Angst machen kann auf dem Podium und ich das destruktive Lampenfieber endgültig besiegt hatte.
Das Dirigentenleben ist geprägt durch viele Ortswechsel. Wie ist das für dich?
Ich hatte während des Studiums keine Ahnung, was es bedeutet, Dirigent zu sein. Niemand hat die Studierenden über die sozialen und praktischen Konsequenzen dieses Lebensweges aufgeklärt. Da bin ich einfach ins kalte Wasser gesprungen. Das viele Reisen ist ein entscheidender Punkt: konzertieren, assistieren, einspringen, Bewerbungsverfahren in unterschiedlichen Städten, Kontakte pflegen - man ist immer auf Achse. Es ist fast ein bisschen unheimlich, aber seit elf Jahren bin ich tatsächlich nicht mehr sesshaft. Das bedeutet auch, seit ich 21 bin, all meine Beziehungen aus der Ferne zu pflegen und das hat massive Auswirkungen. Nur wenn man diese Umstände akzeptiert, kann man in diesem Strudel seine Balance finden - πάντα ῥεῖ (panta rhei – alles fließt).
Was bedeutet dir Heimat?
Heimat ist für mich eine geistige Zugehörigkeit, die ich in Griechenland finde. Lange habe ich mich damit nicht identifizieren können, aber mittlerweile habe ich meinen eigenen Zugang gefunden. Jedes Jahr, wenn ich in Griechenland bin, besuche ich die Orte, die mir Kraft geben, vor allem Delphi. Ich wurde zwar griechisch-orthodox getauft, bin aber in diesem Glauben nicht erzogen worden. Durch den Kampfsport ist mir östliche Philosophie sehr vertraut. Aber es ist doch eine andere Kultur und ich konnte sie nie vollständig zu meiner eigenen machen. Letztendlich habe ich viele Antworten auf meine Fragen im intellektuellen und künstlerischen Freundeskreis um Teodor Currentzis gefunden, der im Gegensatz zu mir in Griechenland gelebt hat und somit auch sozial und kulturell anders mit dem Land verbunden ist. Das hat mir eine neue Welt eröffnet und den Zugang zu meinen Wurzeln ermöglicht.
Und jetzt bist du in Freiburg. Wie geht es dir hier?
Es ist ein großes Privileg hier in Freiburg sein zu dürfen. Ich bin zwar noch nicht lange hier, aber soweit liebe ich es! Es ist eine tolle Stadt, die Menschen, die vielen Studierenden, das Wetter. Die Nähe zu Stuttgart, wo meine Eltern immer noch leben, ist natürlich auch schön. DIE HOCHZEIT DES FIGARO ist meine erste Premiere und ich freue mich sehr auf die bevorstehende Arbeit. Soweit es geht, wollen wir auf alten Instrumenten spielen, und sowohl gesanglich als auch instrumental uns dieses Werk aus der Perspektive der barocken Klangsprache und nicht der romantischen erschließen. Das Solisten-Ensemble hier ist aufgeschlossen und ich kann es kaum erwarten auch mit dem Opernchor und dem Orchester gemeinsam auf Reisen zu gehen.
Hast du ein Ziel?
Ich bin hungrig – ich möchte mit jeder Produktion besser werden. Ja, ich empfinde es als Hunger. Musik ist etwas, dass ich mein ganzes Leben lang machen und in der ich mich ständig weiter entwickeln will. Wenn der innere Kompass stimmt, dann wird man den richtigen Platz finden – aber vorher kennt man den nicht.
Gibt es ein Orchester, das du unbedingt dirigieren möchtest?
Nein, das kann ich so nicht sagen. Einen eigenen Klangkörper zu bilden, das war immer ein Traum von mir. Auch da sind Teodor Currentzis und ich uns sehr ähnlich. Als ich von seinem Orchester MusicAeterna gehört habe, hatte ich schon drei Orchester gegründet; in jedem Studienort ein eigenes Ensemble und schließlich das ArgoEnsemble. Heute klingen leider alle Orchester gleich. Die Zeiten sind vorbei, in denen die Wiener anders als die Berliner und die New Yorker Sinfoniker klangen. Es ist ein bisschen wie bei Starbucks: du bekommst überall gute Qualität, aber sie ist auch überall gleich. Mir ist es wichtig ein Orchester formen zu können und eine unverwechselbare Klangsprache mit den entsprechenden Klangkörpern zu entwickeln. Ich bin davon überzeugt, dass man das als Dirigent auch können muss. Früher waren Dirigenten Orchestererzieher, leider zu oft mit der Peitsche in der Hand, was zum Glück vorbei ist. Aber dennoch muss ein Dirigent eine klare künstlerische Ausrichtung vorgeben und sie mit dem Orchester erarbeiten, sonst sind er und das Orchester austauschbar. Es ist mir wichtig mit Künstlern und Musikern zusammen zu arbeiten, die diesem Phänomen unserer Zeit entgegenwirken und wirklich etwas aussagen möchten. Alles andere ist uninteressant für mich.
Das Interview führte Musiktheaterdramaturgin Annika Hertwig im Oktober 2019.
Die Position des 1. Kapellmeisters ist seit Beginn der Spielzeit 2019/20 am Theater Freiburg neu besetzt. Der Dirigent Ektoras Tartanis wird die musikalische Leitung der Produktionen DIE HOCHZEIT DES FIGARO, DER FREISCHÜTZ und JUKEBOXOPERA übernehmen. Außerdem dirigiert er die Weihnachtskonzerte, das Filmmusikkonzert und das 4. Sinfoniekonzert.
Mehr zu Ektoras Tartanis auf seiner Homepage: https://www.ektorastartanis.com/deutsch
sowie auf facebook, instagram oder youtube