transparenter Hintergrund
Tanz der Roboter Gedanken zur aktuellen Arbeit Lento Elargo des portugiesisch-brasillianischen Künsterduos Jonas & Lander und zu Körperwürfen im Tanz

Internationale Tanzgastspiele, Deutschlandpremieren und die Förderung und Entwicklung zeitgenössischer Tanzkreationen durch Koproduktionen stehen im Mittelpunkt des Tanzprogramms am Theater Freiburg. Ein vielseitiges Angebot zur Tanzvermittlung umgarnt die Tanzabende – als Momente der Begegnung, des Austauschs, des eigenen Ausprobierens und der Diskussion rund um aktuelle Themen, die die zeitgenössische Tanzwelt derzeit bewegt. Neben Workshop-Angeboten zum Mitmachen für professionelle Tanzschaffende genauso wie für Menschen, die Lust auf Bewegung haben, finden regelmäßig diskursive Veranstaltungen wie Tanzkinoabende und Vorträge statt, die einen Einblick in historische und gegenwärtige Entwicklungen im Tanz geben. Bernhard Siebert vom Institut für Angewandte Theaterwissenschaft der Justus-Liebig-Universität Gießen denkt beispielsweise im November 2019, einleitend zur Performance LENTO E LARGO von Jonas & Lander, über einen TANZ DER ROBOTER nach. Er interessiert sich dafür, wie das Robotische 100 Jahre nach der Prägung des Begriffs des Roboters durch Karel Čapek hier auf die Bühne kommt, und was künstliche Menschen mit Theater und Tanz zu tun haben könnten.

Ein kleiner Spielzeugroboter wird rechts am Bühnenrand auf den Tanzteppich gesetzt: Er ist etwa 30 cm hoch und marschiert in einer geraden Linie nach vorne an die Rampe, wo sich ein Mikro auf seiner Höhe befindet. Er ist offenbar nachträglich mit Farbe und mit einer Art Algenkleid an Armen und Beinen versehen worden. Auf dem Torso trägt er ein Top, das grau-blau glitzert, als wäre es mit vielen kleinen Glassteinchen besetzt. Die großen Augen leuchten in hellem Blau, auf dem Scheitel ist mit einem breiten Strich schwarzer Farbe das Haar angedeutet. Und dieser Roboter beginnt zu sprechen, auf Englisch, aber mit Akzent, und seine Stimme ist sehr hoch. Es wirkt als wäre eine menschliche Stimme durch einen Filter geschickt worden, aber passiert das live? Oder ist das voraufgezeichnet? Weil der Mund selbst sich allerdings nicht bewegt, ist nicht genau zu erkennen, ob wirklich etwas aus dem Roboter spricht oder der Sound einfach ohne Umweg über das Mikro auf die Lautsprecher gespielt wird. „Tonight it’s a big honor for me to be here“, sagt er, „even though my presence is pretty unlikely.”

Wir befinden uns im Anfangsteil des Stücks LENTO E LARGO von Jonas & Lander, und dieser erste gesprochene Satz wirft Fragen auf: Ist es wirklich „pretty unlikely“, also ziemlich unwahrscheinlich, dass ein kleiner Roboter auf der Bühne steht? Das Publikum lacht, aber es ist auch sehr zurückhaltend, denn die Szene gerät ein wenig unheimlich. Wer ist es denn, der da spricht? Sollen wir davon ausgehen, dass wir den Roboter beim Wort nehmen können, und ihn als Figur in dieser Choreografie verstehen? Oder ist die Szene anders zu lesen und der Roboter wird hier lediglich fremdbestimmt dazu gezwungen, diese Aussage zu machen?

KAREL ČAPEKS PROGRAMM DES
ROBOTISCHEN (R.U.R., 1920)

Der Begriff des Roboters geht auf Karel Čapek zurück, der ihn für ein Theaterstück verwendet hatte: Der tschechische Autor nutzt die – eigentlich von seinem Bruder gewählte – Vokabel, um künstliche Menschen zu bezeichnen, die in einer Fabrik hergestellt werden, gleichzeitig aber auch den Betrieb dieser Fabrik selbst aufrechterhalten. Dieses Stück von Čapek ist in ein Vorspiel und drei Teile gegliedert; geschildert werden darin die Entwicklungen dieser Fabrik, ROSSUM‘S UNIVERSAL ROBOTS, die auch titelgebend ist: R.U.R. hat Čapek es genannt. Bereits in der Listung der dramatis personae teilt er das Personal des Dramas in zwei Gruppen, Menschen einerseits, Roboter_innen andererseits. Letztere seien „im Vorspiel […] wie Menschen gekleidet. Ihre Bewegungen und ihre Ausdrücke sind abgehackt, ihre Gesichter ausdruckslos, der Blick starr. Im eigentlichen Stück haben sie Leinenblusen, in der Taille gegürtet, und auf der Brust eine Messingnummer.“ (Übersetzung von Just/Seehase.)

Im Vorspiel entsteht denn auch Verwirrung für die Protagonistin Helena, die nicht erkennt, dass es sich bei der Sekretärin des Direktors der Fabrik um eine Roboterin handelt. Als ihr erklärt wird, dass fast alle Angestellten der Firma nicht-menschlich seien, begeht sie dann wiederum den Fehler, drei hochrangigen Abteilungsleitern ihre Pläne zur Befreiung der Robot-Klasse vorzulegen, nur um gleich darauf erkennen zu müssen, dass es sich bei diesen tatsächlich um Menschen handelt. Von vornherein legt Čapek es also darauf an, dass schwierig zu erkennen sei, wer Roboter_in ist und wer Mensch.

Das Drama wird häufig als „humanistisch“ bezeichnet, denn es stellt grundsätzliche Fragen nach Arbeit, Reproduktion und Klassenordnungen. Am Ende vernichten die Roboter_innen alle bis auf einen Menschen, der sich wieder selbst daran macht, körperliche Arbeit zu verrichten. Neben aller gesellschaftskritischer Lesart könnte man aber auch sagen, Čapek berichte mit seinem Stück von der Krise des dramatischen Schreibens: Denn sind die von Schriftsteller_innen erdachten Figuren nicht gleichsam Programme für den Schauspielapparat? Ist nicht die Schaffung der Figuren im Theater selbst eine erste, die Weitergabe dieser Texte an Performer_innen dann eine zweite Art der mächtigen Erschaffung pseudo-menschlichen Lebens? In dieser Lesart erschiene es umso zwingender, dass das Robotische und das Theatrale eine ganz eigene Beziehung haben, weil hier die Frage des Erkennens der den Figuren zugrundeliegenden Programmierung unter Einbezug technischer Entwicklungen neu verhandelt werden kann. Sehen wir den Dramatiker als Programmierer, können wir a posteriori auch das Schicksal klassischer tragischer Figuren als weniger göttergewollt denn dramaturgisch vorprogrammiert lesen: Sophokles’ schriftliche Fassung des König Oedipus thematisierte damit die Gesten, die diese Figur zu der machen, die sie ist, und die sich erst in der Überlagerung der unterschiedlichen ihr zu- und eingeschriebenen Programme erkennen müsste.

In einem Aufsatz schreibt Bianca Westermann, Spezialistin für die Roboter_innenfiguren in der Kulturgeschichte, diese stünden den Menschen als technisch verzerrte Spiegelbilder gegenüber, die sich als widersprüchlich erwiesen, weil sie im selben Moment als überlegen und defizitär erschienen: „Roboter“, so Bianca Westermann, „überwinden den Menschen bzw. seine körperlichen Grenzen in einzelnen Aspekten wie Kraft oder Ausdauer und lassen sich daher als eine spezifische Transformation des menschlichen Körpers verstehen. Je deutlicher diese Referenz auf den Menschen ausfällt, desto vehementer werfen solche Roboter beinah zwangsläufig die Frage nach dem Status der Maschine auf.“ Die Frage nach dem Status dieser Maschine stellt sich aber, was die Bühne betrifft, gerade auch im Tanz, für den das Funktionieren der Körper und ihre Beherrschung eine entscheidende Rolle spielt.

Bernhard Siebert

Ein Beitrag von Bernhard Siebert / Foto privat

ROBOTISCHES IM TANZ BEI
JONAS & LANDER (LENTO E LARGO, 2019)

Vielleicht ist es deshalb auch kein Zufall, dass 100 Jahre nach Čapeks R.U.R. die Frage des Robotischen immer noch auf der Bühne gestellt wird, obwohl sich doch gerade Literatur und Film daran in den letzten Jahrzehnten abgearbeitet haben: Seit 2018 touren Rimini Protokoll durch die Lande mit ihrem Stück UNHEIMLICHES TAL / UNCANNY VALLEY, in dem eine Roboterkopie des Autors Thomas Melle allein auf der Bühne ist und den Abend bestreitet. Die Choreografin Gisèle Vienne lässt in ihren Arbeiten immer wieder Verwirrung beim Publikum über einzelne Figuren entstehen, die auf der Bühne sind und bei denen man sich nie sicher sein kann, ob es sich um apathisch wirkende Performer_innen handelt oder um geschickt inszenierte Puppen, die elektronisch gesteuert werden – zum Beispiel in KINDERTOTENLIEDER (2007) oder in JERK (2008).

Bei Jonas & Lander wiederum kommt in ihrer Arbeit LENTO E LARGO nicht nur der eingangs genannte kleine Roboter immer wieder auf die Bühne, sondern es hat auch ein Drohnen-Ensemble seinen Auftritt. Die surrenden Flugmaschinen vermitteln bei all ihrer Leichtigkeit eine diffuse Bedrohung; ebenso wie der Roboter zwar komisch, aber eben auch unheimlich wirkt. Gegen dieses Maschinelle setzen das portugiesisch-brasilianische Duo mit ihrem Team nun das Menschliche, das hier mit extremem körperlichem Einsatz und mit einer unglaublichen Wandelbarkeit agiert. Die Tänzerinnen und Tänzer, die ihr Haar mit Kappen, ihr Geschlecht mit Klebebändern bedeckt haben, spielen mit der Imitation von Tieren, von fantastischen Wesen. Zwei Performer_innen bewegen sich auf fahrbaren Untersätzen ständig hinter der Bühne, wo sie Geräte zu steuern scheinen und so Einfluss auf die Bühnenhandlung nehmen. Zwischen Mathilde Bonicel, Joana Mário, Francisca Pinto, Jonas Lopes, Filipe Metelo, Lander Patrick und Lewis Seivwright entspinnen sich Rangeleien und kleine Wettkämpfe, es werden Rituale vollzogen und es wird Sex angedeutet. Dabei ist ständig klar, dass wir uns im Theater befinden, dass getanzt wird auf dieser mit knallrotem Tanzteppich überzogenen, wie ausgestanzten Bühne.

Kritikerin Astrid Priebs-Tröger meint nach der Deutschlandpremiere des Stücks in Potsdam, die Tänzerinnen und Tänzer erkunden „in ihrer Expedition ins Tierreich grandios die Bewegungsmöglichkeiten des menschlichen Körpers.“ Und gerade im Zusammenspiel dieser menschlichen Möglichkeiten mit den tanzenden Robotern gerät das Zusehen in Unordnung, weil hier das gráphein der Choreografie anders in Frage gestellt wird, als Vorschreiben und Zuschreiben von einzelnen Bewegungen, Gesten, Gruppenkonstellationen und Effekten. Das Robotische stellt bei Jonas & Lander die Frage nach der Autor_innenschaft der Körper schlechthin. Sie setzen das Choreografische in einen direkten Bezug zum Organisieren, Programmieren und Fernsteuern von unterschiedlichen Bewegungen. Dass dies alles in einer ganz offenen, ja exponierten Bühnensituation geschieht und sich gleichzeitig hermetisch verschließt – und damit eben auch nicht einfach lustig, vulgär, anmutig oder gruslig wirkt, sondern zunächst fremd –, hilft dem Publikum, sich selbst ständig positionieren zu müssen.

Jonas & Lander, so ließe sich sagen, thematisieren das Robotische im Tanz auf doppelte Weise, wenn sie einerseits fragen lassen, wie unlikely (und wie pretty) Maschinen auf der Bühne sein können, und wenn sie andererseits in Tanz und Choreografie selbst das Maschinelle aufdecken, das auf Vorschriften und Programmen beruht und bei dem nie klar ist, wie frei oder unfrei davon die tanzenden Körper wahrgenommen werden können.

Bernhard Siebert

Hintergrund Bild von: Alex Iby