VOR DER PREMIERE:
GESPRÄCH MIT DER REGISSEURIN
CHRISTINA TSCHARYISKI
In der Regieassistenz an deutschsprachigen Theatern beträgt der Frauenanteil laut Verein „Pro Quote Bühne“ 51 Prozent. Am Regiepult jedoch sitzen immer noch zu 70 Prozent Männer. Christina Bona Maria Tscharyiski ist weiblich, klein von Statur, und die 30 Jahre, die sie alt ist, sieht man ihr nicht an. Damit erfüllt sie beste Voraussetzungen, beim Casting für Regieaufträge übersehen zu werden. Aber die österreichisch-bulgarische Regisseurin, die gerade das Schauspiel KASIMIR UND KAROLINE von Ödön von Horváth am Freiburger Theater inszeniert, wird derzeit nicht übersehen. Sie kann sich über einen Mangel an Regieaufträgen nicht beklagen. „Ich habe Glück“, sagt sie.
Mit Glück meint Christina Tscharyiski, dass sie an einem kleinen Wiener Theater, dem Rabenhof-Theater, schon während ihres Studiums der Theater-, Film- und Medienwissenschaften und bis heute Heimat und Unterstützung hat - eine Nachwuchsförderung, wie sie sonst schwer für junge Künstler und Künstlerinnen zu finden sei. Wenn man beim Glück als Grundlage ihrer Karriere bleiben will, fing das schon weitaus früher an. Für eine Inszenierung 1999 am Akademietheater in Wien suchte der bulgarische Regisseur Dimiter Gotscheff ein kleines Mädchen und stieß auf die 11-jährige Christina, wohl der „Bulgarien-Connection“ wegen, sagt sie, und „weil ich frech und mutig war“.
Dem Kind ging eine Welt auf, in die die junge Frau nach der Schule unbedingt zurückkehren wollte. Sie studierte, hospitierte gleichzeitig an wechselnden Theatern und geriet wieder, diesmal als Regieassistentin, zu Gotscheff. Auf die Frage, was sie gelernt habe bei ihm, zitiert sie nur einen Satz, den einzigen, den Gotscheff sagte nach der vierstündigen Hauptprobe von IMMER NOCH STURM für die Salzburger Festspiele: „Es geht um einen Atem.“
Den holte sie. Und reiste erstmal ein Jahr um die Welt. Allerdings nicht ohne Theatertexte im Gepäck. Auf einem Campingplatz in Neuseeland bereitete sie die Uraufführung eines Stücks von Stefanie Sargnagel vor, das 2018 beim renommierten Festival „RADIKAL JUNG“ ausgezeichnet wurde.
Nicht nur weil junge Regietalente gerne zunächst mit Uraufführungen betraut werden, so jedenfalls Tscharyiskis Erfahrung, freute sie sich über die Anfrage des Freiburger Theaters, KASIMIR UND KAROLINE zu inszenieren. Horváth nennt sie einen „meiner Götter“. Es ist die Sprache, die sie an Horváths Stücken fasziniert, eine Sprache, die größer sei als die Figuren, die sie sprechen. Und es ist die Stille. Die Regisseurin macht eine Mehrzahl daraus, „die Stillen“ sagt sie, die das Gesagte immer wieder unterbrechen, strukturieren und Ungesagtes, Unbewusstes widerhallen lassen.
Karoline, die Hauptfigur, versteht sie als „starke, emanzipierte Frau“, die sich befreien will von der „Väterwelt“, und scheitert. Denn haltlos ist sie, wie alle anderen Figuren, die sich wie „im Dauerfall auf der Achterbahn“ befinden. Das alles werde vor dem Hintergrund einer „Gesellschaft am Kipppunkt, einer Gesellschaft mit permanent erhöhtem Ruhepuls“ verhandelt, die Christina Tscharyiski der unseren nicht so unähnlich erscheint, und die zur Zeit der Uraufführung 1932 am Leipziger Schauspielhaus den Nährboden für den Nationalsozialismus bildete.
Das Theatertreffen in Berlin hat gerade entschieden, dass in den nächsten zwei Jahren die Hälfte der eingeladenen Aufführungen von Regisseurinnen stammen sollen. Christina Tscharyiski ist darüber froh, aber sagt auch, das sie nun aufpassen müsse, nicht dank der veränderten Geschlechterwahrnehmung an deutschsprachigen Bühnen zur Quotenfrau aufzusteigen. Sie hat Aufträge. Sie hat Talent und manchmal Glück. Aber sie sagt auch: „Ich hab´ mich durchgebissen“.
Kathrin Kramer
(erschienen in der Badischen Zeitung am 29.9.2019)
Fotos: Wiliam Minke, Laura Nickel